Gewohnheiten haben eine grosse Bedeutung in unserem Leben: Denn etwa 45 Prozent von dem, was wir jeden Tag tun, ist keine bewusste Entscheidung, sondern Gewohnheit [1].
Gewohnheiten entstehen, weil das Gehirn ständig nach Wegen sucht, um sich weniger anzustrengen. Je mehr Gewohnheiten das Gehirn abspulen kann, desto besser: Denn während wir einer Gewohnheit nachgehen, kann das Gehirn herunterfahren oder seine Energie in andere wichtige Aufgaben stecken.
So ist es möglich, dass eine Gewohnheit wie beispielsweise das tägliche Zähneputzen wie auf Autopilot läuft und Sie nebenbei über die Formulierung einer Email, Ihre Tagesplanung oder ein vergangenes Gespräch nachdenken können – Sie sind also viel effizienter, weil sie zwei Dinge gleichzeitig tun [2].
Ohne Gewohnheiten wäre unser Gehirn überfordert von den Details des Alltags. Deshalb bleiben einmal antrainierte Gewohnheiten im Gehirn gespeichert. Das ist allerdings auch ein Grund, warum man schlechte Gewohnheiten so schwer ändern kann. Die gute Nachricht ist: Es geht – und wir erklären Ihnen, wie! Dazu erfahren Sie, wie Gewohnheiten im Gehirn angelegt werden, wie sie funktionieren und an welcher Stelle Sie ansetzen können um die Gewohnheit abzuändern.
Kurzübersicht: Gewohnheiten ändern
- Eine Gewohnheit ist etwas, was wir regelmässig tun, ohne dass wir es bewusst steuern. Während Sie einer Gewohnheit nachgehen, kann Ihr Gehirn herunterfahren oder seine Energie in andere wichtige Aufgaben stecken.
- Eine Gewohnheit, oder auch Gewohnheitsschleife, besteht immer aus den drei Komponenten Auslöser, Routine und Belohnung. Die Belohnung, also ein positives Gefühl oder Befriedigung, ist entscheidend dafür, ob das Gehirn eine Handlung zur Gewohnheit machen möchte.
- Um Gewohnheiten zu ändern, sollten Sie Ihre Ziele nicht zu hochstecken und sich immer nur eine Gewohnheit anstatt mehrerer Gewohnheiten gleichzeitig vornehmen. Sie bestimmen Auslöser, Routine und Belohnung der Gewohnheit und ersetzen die Routine durch eine neue. Damit sich eine neue Gewohnheit formt, müssen Sie die Routine oft und regelmässig wiederholen.
- Menschen können Gewohnheiten erfolgreich ändern, wenn sie durch die neue Gewohnheit belohnt werden und sich Unterstützung durch andere Menschen holen.
Was ist eine Gewohnheit?
Eine Gewohnheit ist etwas, das wir regelmässig tun, ohne dass wir es bewusst steuern – eine Gewohnheit läuft quasi automatisch ab. Eine Gewohnheit basiert aber auf einer Entscheidung, die wir irgendwann einmal bewusst getroffen haben [3].
Ein Beispiel: Als Kind haben Sie damit angefangen, die Zähne zu putzen – Ihre Eltern haben wahrscheinlich gesagt, so ersparen Sie sich Karies und das Bohren beim Zahnarzt. Zu Beginn putzten Sie die Zähne konzentriert und übten die Putzbewegungen mit der Zahnbürste ein. Durch die tägliche Wiederholung über Wochen, Monate und Jahre hinweg hat Ihr Gehirn diese Handlung als Routine abgespeichert und spult sie nun automatisch ab, ohne dass Sie bewusst darüber nachdenken. Das Zähneputzen ist zur Gewohnheit geworden.
Wir Menschen entwickeln Gewohnheiten in allen möglichen Bereichen – darin, wie wir uns verhalten, wie wir denken und wie wir fühlen. Wir alle haben sowohl gute als auch schlechte Gewohnheiten.
Das Steuern von Gewohnheiten
Neue, ungeübte Handlungen werden in einer anderen Hirnregion gesteuert als Gewohnheiten:
In den äusseren Bereichen Ihres Gehirns laufen komplexe Denkprozesse ab. Sie sind beispielsweise aktiv, wenn Sie eine Rechenaufgabe zum ersten Mal lösen oder das Laufen oder das Autofahren neu lernen [2].
Tiefer im Inneren des Gehirns (von den Ohrenspitzen aus etwa einen Zeigefinger weit innerhalb des Schädels) sitzt ein Bündel von speziellen Nervenzellen, die sogenannten Basalganglien. Die Basalganglien sind evolutionsgeschichtlich sehr alte Hirnstrukturen. Sie kontrollieren unser instinktives, automatisches Verhalten wie Atmen, Schlucken oder die Schreckreaktion, wenn uns beispielsweise plötzlich etwas anspringt.
Sobald eine Handlung oft genug ausgeführt und in eine Gewohnheit umgewandelt wird, übernehmen die Basalganglien die Steuerung. Das Gehirn führt die Handlung dann nicht mehr bewusst aus, was es für uns so schwermacht, Gewohnheiten zu ändern [4].
Wie entstehen Gewohnheiten?
In Experimenten mit Ratten fanden Forschende in den 90er-Jahren erstmals heraus, wie Gewohnheiten im Gehirn angelegt werden.
Dabei implantierten sie zunächst Sensoren im Gehirn der Ratten, die ihre Gehirnaktivität aufzeichneten. Dann liessen sie sie Ratten durch ein T-förmiges Labyrinth laufen, an dessen einem Ende ein Stück Schokolade versteckt war. Um ins Labyrinth zu gelangen, liefen die Ratten durch eine Klappe. Immer, wenn die Klappe sich öffnete, erklang ein Ton. Dann suchten sie im Labyrinth nach der Schokolade, bis sie sie gefunden hatten. Dieser Ablauf wurde so lange wiederholt, bis die Ratten den Weg gelernt hatten und die Schokolade direkt fanden. Dabei zeigte sich, dass sich die Gehirnaktivität der Ratten mit der Zeit veränderte. Je routinierter sie im Labyrinth wurden, desto stärker nahm die Hirnaktivität ab. Eine Struktur im Gehirn wurde dagegen immer aktiver: Die Basalganglien, die, so fanden die Forschenden heraus, alle „erfolgreichen“, also belohnten Routinen als Gewohnheiten abspeichern [5].
Dieser Prozess – in dem das Gehirn eine Folge von Handlungen in eine automatische Routine verwandelt – wird Gewohnheitsschleife oder auch „Chunking“ (Portionierung) genannt. Ein „Chunk“ hat immer drei Komponenten:
- Den Auslösereiz (hier der Ton beim Öffnen der Klappe)
- Die Routine (hier das Laufen im Labyrinth) und
- Die Belohnung (hier die Schokolade).
Auch bei uns Menschen laufen Gewohnheiten stets nach dem oben beschriebenen Prinzip ab, es gibt vermutlich Hunderte von Gewohnheitsschleifen (Chunks), die wir täglich benutzen. Einige sind einfach, wie beispielsweise, wenn wir einen Lichtschalter drücken, sobald wir in einen dunklen Raum kommen. Anziehen oder Frühstück zubereiten sind schon komplexer. Aber auch sehr komplizierte Handlungen wie das Autofahren kann das Gehirn zur Gewohnheit machen, so dass wir das Auto sicher durch den Verkehr steuern und nebenbei den Radioknopf bedienen oder uns unterhalten können.
Machen Sie sich Ihre Gewohnheiten zunutze: In unserem Artikel über die Morgenroutine geben wir Ihnen Tipps für einen guten Start in den Tag.
Gewohnheiten ändern: Die Rolle der Belohnung
Die Belohnung ist Teil der der oben beschriebenen Gewohnheitsschleife (Auslösereiz – Routine – Belohnung) und entscheidend dafür, dass eine Handlung überhaupt als Gewohnheit im Gehirn abgespeichert wird. Denn nur Handlungen, die positive Gefühle oder eine Befriedigung auslösen, möchte das Gehirn für die Zukunft beibehalten [6]. Wenn Sie eine Handlung mehrmals wiederholt haben, fängt das Gehirn an, die Belohnung zu erwarten. Es entsteht dann ein Verlangen, dass die Gewohnheitsschleife immer wieder antreibt.
Interessant ist auch: Je stärker sich eine Gewohnheit in der Folge bei uns festigt, desto unwichtiger wird die Belohnung [7]. Das heisst, irgendwann spult das Gehirn die Gewohnheit automatisch ab, obwohl sich vielleicht kein positives Gefühl mehr einstellt.
Nehmen Sie beispielsweise das Fahrradfahren: Als Sie als Kind Fahrradfahren gelernt haben, waren Sie vermutlich stolz und glücklich über jeden Meter, den Sie ohne Hinzufallen alleine gefahren sind und übten daher regelmässig weiter. Heute radeln Sie dagegen routiniert und ohne das stolze Gefühl von damals.
Warum ist es so schwer, Gewohnheiten zu ändern?
Legen Sie sich jährlich zu Silvester gerne gute Vorsätze für das neue Jahr zurecht, die Sie dann recht schnell wieder über Bord werfen? Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang vom „Falsche-Hoffnung-Syndrom“: Menschen haben unrealistische Vorstellungen davon, wie schnell und einfach sie ihre Gewohnheiten ändern können und welchen Effekt solche Veränderungen auf ihr Leben haben. Ab jetzt keine Süssigkeiten mehr, denkt man dann, und schon bin ich gutaussehend und schlank und habe automatisch mehr Erfolg im Job und in der Liebe.
Diese Selbstüberschätzung bringt uns dazu, viele Gewohnheiten auf einmal verändern zu wollen und sich unrealistische Ziele zu setzen. Das endet selten gut – wir scheitern an den hohen Anforderungen an uns selbst, sind frustriert und fallen wieder in die alten Gewohnheiten zurück [8].
Ausserdem speichert das Gehirn gute wie schlechte Gewohnheiten dauerhaft ab und wir üben sie unbewusst aus. Daher brauchen wir einen starken Willen, um sie zu ändern. Und gerade beim Naschen schüttet unser Gehirn Glückshormone aus, eine Belohnung, auf die unser Körper nicht gerne verzichtet.
Studien zeigen, dass es besser ist, wenn Sie sich Ihre schlechten Gewohnheiten nicht alle gleichzeitig, sondern nach und nach vornehmen. Dabei ist es einfacher, eine Gewohnheit gegen eine andere zu ersetzen, anstatt sie komplett abzuschaffen [9].
Wie lange dauert es, eine Gewohnheit zu ändern? Das ist schwer vorauszusagen. In einer Studie brauchten Menschen dafür zwischen 18 und 254 Tagen. Es war zwar nicht schlimm, wenn die Teilnehmenden mal einen Tag lang die Gewohnheit nicht verfolgten. Aber insgesamt hatten die Proband*innen, die neuen Aktivitäten konsequenter nachgingen, sie schneller verinnerlicht [10].
Wie kann ich meine Gewohnheiten ändern?
Gewohnheiten sind im Gehirn gespeichert und können nicht vollständig gelöscht werden – man kann aber Teile davon ersetzen. Fachleute aus der Verhaltensforschung empfehlen, den Auslösereiz und die Belohnung einer Gewohnheitsschleife beizubehalten – aber die Routine dazwischen zu ändern [2].
Wenn Sie wissen, wie eine bestimmte Gewohnheitsschleife bei Ihnen funktioniert – Sie kennen also Auslösereiz, Routine und Belohnung – können Sie diese Gewohnheit auch kontrollieren. Dazu zerlegen Sie die Gewohnheit in ihre Bestandteile und tauschen die Routine gegen eine neue aus. Eventuell müssen Sie mehrere Routinen ausprobieren, bis sie eine gute Lösung, also eine neue Gewohnheit, entwickelt haben. Und so funktioniert´s:
1. Gewohnheit auswählen
Überlegen Sie, welche Gewohnheit Sie gerne ändern möchten. Wichtig ist, dass Sie die Gewohnheit von sich aus ändern wollen und dass Sie nicht mehrere Gewohnheiten auf einmal ändern.
Nehmen wir an, Sie möchten weniger naschen. Vermutlich gibt es mehrere Gelegenheiten am Tag, an denen Sie zu Süssigkeiten greifen. Davon wählen Sie eine aus, zum Beispiel: Der Keks zum Nachmittagskaffee.
2. Gewohnheit zerlegen
Identifizieren Sie die drei Bausteine der Gewohnheitsschleife, also:
- Den Auslöser (Trigger): Das kann eine bestimmte Uhrzeit, ein Ort, eine Emotion, die Anwesenheit bestimmter Menschen oder ein Ereignis sein, dass Sie zur Handlung motiviert.
- Die Routine (Gewohnheit): Ihre Reaktion auf den Auslöser, die immer demselben Muster folgt, ohne dass Sie darüber nachdenken.
- Belohnung: Das positive Gefühl oder die Belohnung, dass Ihre Routine gebracht hat.
Für unser Beispiel „Keks zum Nachmittagskaffee“ nehmen wir folgendes an: Der Auslöser ist das Nachmittagstief. Sie können sich schlecht konzentrieren, brauchen Energie oder vielleicht auch ein wenig Ablenkung. Die Routine ist der Gang in die Küche, der Griff zur Kaffeemaschine und der Griff in die Keksdose. Danach gehen Sie immer zurück zum Schreibtisch. Die Belohnung ist der Energiekick (Zucker und Koffein), den Sie Ihrem Gehirn verschaffen.
3. Routine ersetzen
Im nächsten Schritt überlegen Sie sich, mit welchem neuen Verhalten Sie die Routine ersetzen möchten. Seien Sie dabei so konkret wie möglich. Vielleicht kommen mehrere Möglichkeiten infrage, die Sie ausprobieren möchten. Im unserem Beispiel könnten folgende Routinen funktionieren:
- Den Keks durch einen Apfel oder eine Handvoll Studentenfutter ersetzen
- Kaffee in einen Thermosbecher füllen und eine Runde an der frischen Luft spazieren gehen
Tipp: Wiederholen Sie das neue Verhalten regelmässig, damit es zur Gewohnheit werden kann. Stellen Sie die Keksdose vorab aus dem Blickfeld oder in einen anderen Raum, so dass Sie schwerer in Versuchung geraten, wenn Sie in die Küche kommen. Am besten besorgen Sie erst gar keine Kekse mehr. Was nicht da ist, können Sie auch nicht essen!
4. Belohnen und Erfolge feiern
Stellen Sie sicher, dass Sie durch die neue Routine auch belohnt werden: Haben Ihnen der Apfel, das Studentenfutter oder der Spaziergang in Kombination mit dem Kaffee einen Energiekick gegeben? Wie fühlen Sie sich? Sollten Sie sich nicht belohnt fühlen, lohnt es sich, die möglichen Auslöser noch einmal unter die Lupe zu nehmen und daraus neue Routinen zu entwickeln.
Feiern Sie Ihre Erfolge: Halten Sie jedes Mal fest, wenn Sie die alte Gewohnheit durch die neue ersetzt haben und setzen Sie sich selbst den Zeitpunkt, an dem Sie „feiern“ – also sich einmal zusätzlich belohnen. Das kann eine Gesichtsmaske am Abend sein, ein Besuch im Theater, ein Treffen mit Freund*innen oder ein neues Buch – Sie entscheiden!
Unser Tipp: Suchen Sie sich Verbündete! Es ist viel leichter, eine Gewohnheit zu ändern, wenn Sie das mit anderen zusammentun oder sich unterstützen lassen. Sie können sich beispielsweise zum Kaffee-Spaziergang am Nachmittag verabreden oder andere gemeinsame Routinen (zum Beispiel mit Familienmitgliedern, Partner*in oder Freund*in) etablieren, um eine alte Gewohnheit zu ändern.
Quellen
[1] D. T. Neal, W. Wood, und J. M. Quinn, „Habits - A Repeat Performance“, 2006. https://web.archive.org/web/20110526144503/http://dornsife.usc.edu/wendywood/research/documents/Neal.Wood.Quinn.2006.pdf (zugegriffen 18. Januar 2023).
[2] C. Duhigg, The Power of Habit: Why We Do What We Do and How to Change. London: Random House Books, 2013.
[3] B. Gardner, P. Lally, und J. Wardle, „Making health habitual: the psychology of ‘habit-formation’ and general practice“, The British Journal of General Practice, Bd. 62, Nr. 605, S. 664, Dez. 2012, doi: 10.3399/bjgp12X659466.
[4] H. H. Yin und B. J. Knowlton, „The role of the basal ganglia in habit formation“, Nat Rev Neurosci, Bd. 7, Nr. 6, Art. Nr. 6, Juni 2006, doi: 10.1038/nrn1919.
[5] M. S. Jog, Y. Kubota, C. I. Connolly, V. Hillegaart, und A. M. Graybiel, „Building Neural Representations of Habits“, Science, Bd. 286, Nr. 5445, S. 1745–1749, Nov. 1999, doi: 10.1126/science.286.5445.1745.
[6] P. Lally und B. Gardner, „Promoting habit formation“, Health Psychology Review, Bd. 7, Nr. sup1, S. S137–S158, Mai 2013, doi: 10.1080/17437199.2011.603640.
[7] W. Wood und D. Rünger, „Psychology of Habit“, Annual Review of Psychology, Bd. 67, Nr. 1, S. 289–314, 2016, doi: 10.1146/annurev-psych-122414-033417.
[8] J. Polivy, „The false hope syndrome: unrealistic expectations of self-change“, Int J Obes Relat Metab Disord, Bd. 25 Suppl 1, S. S80-84, Mai 2001, doi: 10.1038/sj.ijo.0801705.
[9] T. Faude-Koivisto und P. Gollwitzer, „Wenn-Dann Pläne: eine effektive Planungsstrategie aus der Motivationspsychologie“, Jan. 2011, doi: 10.1007/978-3-531-93039-8_13.
[10] P. Lally, C. H. M. van Jaarsveld, H. W. W. Potts, und J. Wardle, „How are habits formed: Modelling habit formation in the real world“, European Journal of Social Psychology, Bd. 40, Nr. 6, S. 998–1009, 2010, doi: 10.1002/ejsp.674.